Der Handel zwischen Asien und Europa war in der Antike eine der wesentlichen Einnahmequellen im Mittleren Osten. Karawanen brauchten auf ihrer langen und gefährlichen Reise Schutz vor Überfällen sowie Zugang zu Wasser und Nahrung. Dadurch kamen viele Städte in der lebensfeindlichen Wüstenregion abseits der fruchtbaren Flüsse Vorderasiens zu großem Reichtum.

Eine dieser wichtigen Oastenstädte war Hatra im Norden Mesopotamiens. Hatra wurde im ersten Jahrhundert n. Chr. von Nomadenstämmen an einem Wadi errichtet, also einem Fluss, der nur zu bestimmten Jahreszeiten Wasser führt. Dieser regelmäßige Wasserquelle ermöglichte es den Menschen, in der Wüste eine ständige Siedlung aufzubauen.

Hatra lag an der Grenze zwischen den Einflussbereichen zweier antiker Großmächte. Vom Westen her breitete sich das Römische Reich weiter aus, während von Persien aus das Partherreich über die Region regierte.

Aufgrund seiner Lage war Hatra von großer strategischer Bedeutung. Zwar war die die Stadt größtenteils selbstverwaltend und hatte auch einen eigenen König. Dennoch gehörte Hatra zum Macht- und Kulturkreis der Parther. Mehrfach versuchten die Römer, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen und so ihre Machtstellung im Mittleren Osten auszuweiten. Doch das war vergebens. Denn die Bewohner hatten die Stadt in nur kurzer Zeit mit umfangreichen Verteidigungsanlagen wie massiven Mauern und einer Vielzahl an Wehrtürmen versehen. Die Mauer steht bis in die heutige Zeit zu großen Teilen.

Im Zentrum der geschützten Stadt befand sich ein großer Tempelkomplex. Die Tempel waren verschiedenen Göttern gewidmet, welche die wichtigsten Handelspartner der Stadt Wiederspiegeln. So gibt es Gebäude mit römischen und griechischen Einflüssen genau wie einen zentralen Tempel zur Verehrung des mesopotamischen Sonnengottes Maran.

Hatra war also damals in einer neutralen Rolle zwischen den Welten, was den Geschäftsbeziehungen natürlich sehr zuträglich war.

Doch die Blütezeit von Hatra sollte kaum 200 Jahre Bestand haben. Denn im dritten Jahrhundert n. Chr. übernahmen die Sassaniden die Macht im persischen Reich. Auf ihrem Feldzug gegen die Römer nach Westen wurde aus strategischen Gründen auch Hatra nach langer Belagerung eingenommen. Doch mit Abschluss der Offensive der Sassaniden wurde die Stadt nicht weiter genutzt und verlassen.

Seither steht die Stadt mitten in der Wüste völlig unbewohnt. Doch glücklicherweise gibt es weit und breit keine erwähnenswerte Zivilisation. Denn sonst wäre die Ruine sehr wahrscheinlich wie so viele andere auch von den Bewohnern als Quelle für Baumaterial genutzt und somit stückweise zerstört worden. Doch aufgrund ihrer Lage blieben vor allem die massiv gebauten, imposanten Sakralbauten des zentralen Tempelbereiches in hervorragendem Zustand erhalten.

Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Ruinenstadt wiederentdeckt und von Archäologen untersucht. Und tatsächlich konnte man hier eine riesige Anzahl an Kulturgütern finden. Hatra war in einem besseren Zustand als jede andere Ruine aus dem Reich der Parther. Nirgendwo sonst konnte man so viel über ihre Kultur lernen, wie hier in Hatra. Ein wirkliches Glück für die Welt.

Der ehemalige Diktator des Irak Saddam Hussein leitete umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen ein. Dabei wurden vor allem große Teile der ehemaligen Mauer wieder hergestellt. Wenn dafür neue Steine eingesetzt werden mussten, wurden diese zuvor mit dem Namen Husseins verziert. Jeder einzelne. Genau wie es tausende Jahre zuvor Nebukadnezar, der König Babylon’s getan hatte. Etwas größenwahnsinnig? Bestimmt. Ansonsten ein spannendes Suchspiel.

Trivia: bei der Invasion des Irak durch die USA wurde Saddam Hussein hingerichtet. Seither kamen auch die Arbeiten an Hatra zum Stillstand. Aus dieser Zeit steht auch noch ein Baukran auf dem Gelände, der nun gemächlich vor sich hin rostet.

Während der unsicheren Jahre nach der amerikanischen Invasion nahmen Kämpfer des Islamischen Staat die antike Stadt Hatra ein, um sich hier zu verschanzen. Zwischen 2014 und 2017 war Hatra in den Händen der Islamisten. Während dieser Zeit wurden leider auch hier historische Kulturgüter systematisch Zerstört. Gebäudeteile wurden gesprengt oder mit Bulldozern zum Einsturz gebracht. Statuen und Reliefs an den Fassaden der Tempel mit Vorschlaghämmern zerstört oder als Zielscheibe für Schießübungen verwendet.

Noch Heute liegen auf dem Boden im Tempelbereich viele Geschosshülsen rum. Teilweise stecken Kugeln in den Wänden. Dennoch ist es so, dass Hatra die Krisenjahre erstaunlich gut überstanden hat und der vollständigen Zerstörung entgangen ist.

Ein Großteil der unzähligen Statuen, die man in den Tempelanlagen von Hatra gefunden hat, wurden bereits vor dem Krieg in Museen gebracht. Die allermeisten davon ins Nationalmuseum in Baghdad. Hier gibt es sogar einen eigenen Saal nur mit Kunstobjekten aus Hatra. der Besuch lohnt sich auf jeden Fall.

Einige waren aber auch in Mosul ausgestellt. Während die Stadt vom IS eingenommen war, haben die Islamisten leider alles zerstört oder auf dem Schwarzmarkt zugunsten ihrer Kriegskasse verkauft.

Bis zum Herbst 2022 war Hatra eigentlich noch für die Öffentlichkeit geschlossen. Die Ruinenstätte liegt auch heute noch fernab der Zivilisation am Rande der Wüste. Hier fanden bisweilen immer noch kleine Terrorzellen Unterschlupf und es kam regelmäßig zu Angriffen auf die Sicherheitskräfte der Irakischen Armee.

Daher war der Besuch nur mit Sondergenehmigung möglich (sprich: Leute mussten mit viel Geld geschmiert werden). Das ist nun nicht mehr der Fall und man kann mittlerweile ganz offiziell ein Eintrittsticket bei der Behörde für Antiquitäten von Nineveh kaufen und mit dem eigenen Auto bzw. Taxi nach Hatra fahren.

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