Tangermünde existiert schon lange – als Stadt, als Pfalz und vor allem aber auch als Stecknadel auf meiner Maps.Me Wunschliste der Orte, die ich besuchen wollte. Komisch, dass erst die Reisesperre während der Corona Pandemie kommen musste, dass ich es endlich mal dorthin schaffe. Denn von Braunschweig dauert es keine 2h in die kleine Stadt in der sachsen-anhaltinischen Altmark.
Außerhalb der Grenzen des Bundeslandes ist Tangermünde wohl nur wenigen ein Begriff, doch ein Besuch hierher lohnt allemal. Die Stadt blickt auf eine lange Geschichte zurück in der sie zu Ruhm und Wohlstand kam. Sie liegt direkt an der Elbe auf einer leichten Erhöhung, wodurch sich leichter Verteidigungsanlagen errichten ließen um Überfällen standzuhalten. Zu Beginn des Spätmittelalters wurde Tangermünde Mitglied des kaufmännischen Städtebundes der Hanse, hier wurde eine wichtige Zollstation für die Elbschifffahrt errichtet.
Trivia: In Tangermünde mündet der Tanger in die Elbe – daher der Name der Stadt
Beinahe Hauptstadt Deutschlands
Durch die Besteuerung des Schiffshandels kam nicht nur der Wohlstand, sondern damit einhergehend auch die politische Bedeutung. Kaiser Karl IV machte Tangermünde Ende des 14. Jahrhunderts zur Nebenpfalz, also seinem Zweitwohnsitz nach der Prager Burg. Somit tauchte Tangermünde erstmals auf der politischen Landkarte Mitteleuropas auf.
Auch nach der Machtübernahme in Brandenburg durch die Hohenzollern blieb Tangermünde Residenzstadt, von der aus die Geschicke des Landes entschieden wurden. In den kommenden Jahrzehnten blühte die Stadt förmlich auf und eine Vielzahl herausragender Gebäude im Stil der für Norddeutschland typischen Backsteingotik wurde erschaffen. So zum Beispiel die beinahe vollständig erhaltende Stadtmauer mit ihren imposanten Toren und das Rathaus.
Trivia: um massive Bauten zu errichten braucht man entsprechend viel Baumaterial. Gebirge und Steinbrüche gibt es aber in der Region nicht, sodass man auf den roten Lehm zurückgriff, der zur Genüge im Boden vorhanden ist. Heute ergibt sich daraus die charakteristische Farbe der Backsteinbauten im Norddeutschen Raum, die sich durch verschiedene Stilepochen zieht.
Untergang durch Bier
Bier. Ursprung von und Lösung aller Probleme des Lebens. Und letztlich sorgte auch das liebste Getränk der Deutschen für den Fall Tangermündes in die beinahe Bedeutungslosigkeit. Denn der Kurfürst Johann Cicero aus dem edlen Haus Hohenzollern kam auf eine glorreiche Idee, die uns bis Heute im Alltag begegnet: die Biersteuer.
Die neuen Abgaben schmeckte weder Braumeistern noch Trunkenbolden in Tangermünde – von beiden gab es damals wohl reichlich. Es kam zu Aufständen und in der Konsequenz verlegte der Kurfürst seine Residenz nach Cölln – heute besser bekannt als Berlin Mitte.
Ohne Biersteuer hätte also Heute Tangermünde Deutschlands Hauptstadt sein können!
Was liegt wo?
Ein Spaziergang durch die Altstadt
Tangermünde konnte sich einen Großteil seiner historischen Altstadt erhalten. Die Stadtmauer ist beinahe vollständig als Ringmauer erhalten und auch viele der massiven Tore stammen noch aus dem Spätmittelalter. Zwar ist die Altstadt klein und in kurzer Zeit erkundet, doch fühlt es sich aufgrund zusammenhängend erhaltenen mittelalterlichten Bausubstanz wie eine Zeitreise an.
Meine Tour beginnt am Hafen. Hier ist nämlich ein großer, kostenfreier Parkplatz. Vor mir erstreckt sich in beide Richtungen die Stadtmauer, die mich direkt beeindruckt aufgrund ihrer massiven Bauweise.
Durch das Elbtor geht es in die Altstadt. Hier verläuft über holprige Pflastersteine die Roßpforte – im Mittelalter der einzige Weg vom Elbufer in die Stadt. Schon auf dem Weg nach oben laufe ich direkt auf das markanteste Bauwerk der Altstadt zu: die St. Stephanskirche. Die Hallenkirche gilt als eines der herausragendsten Gebäude im Stil der Backsteingotik und macht vor allem umringt von den vielen mittelalterlichen Bauten auf jedem Foto eine gute Figur, wie hier vom Elbtor aus gesehen.
Leider ist der Zutritt zur Kirche aufgrund der Pandemie eingeschränkt und ich schaffe es leider nicht rein. Daher schleiche nur ich ein wenig um das Gebäude herum. Die Gotik ist ein Baustil im Spätmittelalter und daher für mich gedanklichen einer dunklen Epoche zugeordnet. Da passt es ganz gut, dass der Himmel wolkenverhangen die bedrohliche, düstere Stimmung verstärkt.
Gegenüber der Kirche stehen die Exempel Schlafstuben. Das Ensemble aus Fachwerk- und Backsteinhäuser ist ein Hotel, dessen Zimmer nach verschiedenen Themen gestaltet sind, um Gäste in unterschiedliche Epochen und Situationen zu versetzen. Das hört sich für mich sehr spannend an und sobald die Pandemie es zulässt, werde ich sicher mal hier einkehren.
Weiter geht es in südlicher Richtung zum historischen Rathaus der Stadt. Auch dieses zählt, wie die St. Stephanskirche, zu den bedeutendsten Gebäuden der Backsteingotik in Norddeutschland. Das liegt nicht zuletzt an der prachtvollen Fassade an der Front des Gebäudes mit den für die Gotik typischen Elementen: Zacken hier, Rosetten dort.
Unter den Arkaden des Rathauses steht ein Denkmal für ein verheerendes Unglück der Stadt, welches durch eine große Ungerechtigkeit gesühnt wurde. Im Jahre 1617 brannte ein großer Teil der Stadt bei einem Feuer nieder.
Nun waren Stadtbrände im Mittelalter keine außerordentliche Seltenheit, dennoch wollte man eine Person als schuldigen Brandstifter verurteilen um den Zorn der Einwohner zu beruhigen. Ein Bauernopfer war schnell gefunden. Eine Frau Namens Grete Minde befand sich zu dem Zeitpunkt in einem Erbschaftsstreit mit der Stadt. Kurzerhand wurde sie für schuldig gesprochen und zu Tode gerichtet – sehr qualvoll, denn im Mittelalter waren die Menschen beim Richten doch sehr fantasievoll.
Trivia: Vielleicht schlackern ja dem ein oder anderen die Ohren beim Namen der unschuldigen Frau. Theodor Fontane nahm die Geschehnisse von Tangermünde als Vorlage zu seiner gleichnamigen Novelle der Grete Minde. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Frau in seiner Geschichte tatsächlich aus Rache für das ihr unterschlagene Erbe die Stadt niederbrennt.
Als nächstes bahne ich mir den Weg weiter nach Süden. Durch die Putinnen hindurch geht aus aus der Altstadt heraus ans Ufer und weiter zu einer kleinen Landzunge, die eine Bucht um die Hafen bildet.
Die Putinnen sind zwei Wehrtürme als Teil der alten Stadtmauer. Im Mittelalter war in dem einen das älteste Eichamt der Altmark untergebracht, der andere war ein symbolisches Gefängnis. Warum nur symbolisch? Auf einem Schild steht geschrieben, dass es zu der Zeit kaum kriminelle gab und das Gefängnis daher nur der Abschreckung diente.
Von der Landzunge aus kann man die Flussseite der ummauerten Altstadt aus der Ferne wunderbar anschauen. Außerhalb der Pandemie gab es hier mit Sicherheit auch viele Ausflugsschiffe die vorbeifahren oder in der Bucht anlegen, die man hier hätte beobachten können. Doch in Zeiten, wo alles geschlossen ist und leichtem Nieselwetter bleibt mir immerhin der Blick auf eine der schönsten kleinen Altstädte Deutschlands.
Außerdem stehe ich hier an dem Punkt, dem die Stadt ihren Namen zu verdanken hat. Denn das Gewässer zwischen mir und der Stadt ist tatsächlich der Tanger, der am Ende der Bucht in die aus Südosten kommende Elbe mündet.
Als nächstes geht es zurück in die Stadt und entlang eines parallelen Straßenzuges zurück nach Norden zur Burg Tangermünde. Um von hier in die Altstadt zu kommen muss man durch das Neustädter Tor, das wahrscheinlich schönste der noch stehenden Tore zur Stadt.
Auffällig sind vor allem die Wappen, welche die Durchfahrt ziehen. Es scheint, als hätten die für Wappen verantwortlichen kreativen Köpfe der Vergangenheit ein gemeinsames Lieblingstier gehabt. Denn gleich fünf Adler als Repräsentanten für verschiedene Adelshäuser oder Bünde schmücken das Neustädter Tor.
Wer erkennt sie alle?
Auflösung von links nach rechts:
- Der Preußische Adler
- Der Reichsadler
- Der Tangermünder Adler
- Der Adler des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen
- Der Brandenburger Adler
Auf dem Weg zur Burg laufe ich entlang der Mauer am anderen Ende der Altstadt. Die Straße mit dem praktischen Namen „Mauerstraße“ ist zu beiden Seiten bebaut mit schönen Fachwerkhäusern und durch die ein oder andere Gasse kann man einen tollen Blick auf das höchste und somit auffälligste Gebäude der Stadt erhaschen: die St. Stephanskirche.
Schon einen Block weiter erreiche ich das der inneren Altstadt und laufe von hieraus auf den Eulenturm zu. Auch dieser war einmal Bestandteil der Stadtbefestigung, jedoch wurde dieser Teil der Mauer mittlerweile zurückgebaut.
Auf dem Weg zur Burg geht es entlang der Hühnerdorfer Straße. Von hieraus hat man noch mal ein richtig schönes Bild der Altstadt, denn die Fachwerkhäuser zu beiden Seiten bilden eine Blickführung auf das Ensemble aus Eulenturm und St. Stephanskirche.
Die Burg selbst ist nur wenig spektakulär, da die ganze Altstadt ja bereits als eine massive Wehranlage aufgebaut ist. Neben einer eigenen Ringmauer gibt es hier nur ein altes Kapitelhaus welches Heute als Hotel genutzt wird, einen Wachturm und einen grünen Park.
Rothenburg Norddeutschlands
Daher mache ich mich auch wieder auf den Weg ans Ufer zum Parkplatz. Der Ausflug nach Tangermünde hat sich wirklich gelohnt und ist sehr empfehlenswert. Eine derartige Sammlung an zusammenhängender Bausubstanz aus dem Mittelalter ist in Deutschland eine wirkliche Seltenheit. Aufgrund der intakten Mauern, Stadttore und Wehrtürme wird Tangermünde mitunter auch als das Rothenburg o.d.T. des Nordens bezeichnet. Und ich finde durchaus parallelen der beiden märchenhaften Städte. Wesentliche Unterschiede, die Tangermünde ausmachen, sind meines Erachtens nach zum einen die roten Backsteine und zum anderen die Tatsache, dass hier keine Heerscharen an Tourbussen für Touristen und Instagramer aus aller Welt Halt machen.
Angenehme Vorstellung, oder?
War noch was?
Das lokale Bier Tangermündes ist das Kuhschwanzbier. Es wird bereits seit über 1.000 Jahren in der Stadt gebraut, sodass man es getrost als Traditionsgebräu bezeichnen kann. Seinen kuriosen Namen verdankt es vermutlich einer Anekdote, die noch aus der Zeit des Reinheitsgebotes stammt.
Demnach wurde das Wasser zum Bierbrauen aus dem Tanger geschöpft. In dem Fluss am Rand der Altstadt hat aber auch immer das liebe Rindvieh seinen Durst gestillt. Aus hygienischen Gründen versuchte man die Tiere von den Wasserstellen der Brauer fern zu halten – so wirklich hat das aber nie funktioniert. Und so sagte man, dass wohl immer mindestens eine Kuh ihren Schwanz im Wasser hatte, als der Braumeister zum Schöpfen kam. Daher der appetitliche Name Kuhschwanzbier. Prost!
Jens
Hallo, schöner Bericht. Tangermünde ist eine der schönsten Städte in Deutschland.
Grüße aus dem Schwarzwald Jens.
Tom
As an Englishman living in Germany I just bought a house here …. the best move I ever made, I love it more each day 🙂
Johann
Sehr treffende und ausführliche Impressionen, die wir auf der Rückreise im Zug studieren. Vielen Dank!