Es ist 9 Uhr am Morgen als wir in Bukhara ins Taxi zum Bahnhof steigen. Lange war es recht kompliziert, nach Khiva zu reisen, da es keine direkte Bahnverbindung gab. Man musste zunächst nach Urgench fahren und von dort ging es mit dem Taxi weitere 45 Minuten bis zum Ziel. Das war nicht nur beschwerlich, sondern auch teuer. Daher ist Khiva auch das am wenigsten besuchte Highlight Usbekistans – zu unrecht, wie ich finde!
Seit kurzem ist die Hürde der Anreise genommen. Die Fahrt mit dem Zug nach Khiva sollte nur noch 5h dauern – also einsteigen und genießen. Klingt vielversprechend, richtig?
Doch es sollte ganz anders kommen.
Kaum verlassen wir den Bahnhof in Bukhara, fällt auch schon die Belüftung aus. Und so rollen wir ohne Frischluft durch die sengende Hitze der Usbekischen Wüste. Ratlos stehen die Bahnmitarbeiter vor der Belüftung und grübeln, was man jetzt machen könne. Mehrmals halten sie den Finger vor den Luftausströmer um zu bestätigen, was die schweißgebadeten T-Shirts der Reisenden bereits verraten: nichts. Nicht mal ein laues Lüftchen weht durch unser Abteil. Auch das öffnen der wenigen kippbaren Fenster hilft nichts, denn draußen sind es mittlerweile über 45°. Vor allem bei den Familien mit kleinen Kindern bricht Panik aus und man verlegt sie in die 1. Klasse – ja, so etwas bietet der ehemaligen sozialistischen Staat tatsächlich an und hier gibt es auch richtige Klimaanlagen!
„Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher“
–George Orwell, die Farm der Tiere
Da die Plätze in der 1. Klasse begrenzt sind, werden nur Familien mit Kindern umquartiert. Der Rest von uns quält sich durch die restlichen 5h der Zugfahrt – die sich leider auf 8h streckt..
Und genau wie die vielen Karawanen zu Zeiten der alten Seidenstraße erreiche auch ich in der Abendsonne durstig und durchgeschwitzt nach der schlimmsten Anreise endlich die Oase Khiva!
Was liegt wo
Meine Unterkunft: Zukhro Boutique Hotel
Das Hotel liegt innerhalb der Stadtmauern der Altstadt von Khiva. Perfekt, um vor allem am Abend durch die nun leeren Gassen der alten Handelsoase zu schlendern, wenn alle Tagestouristen schon in ihren Bus gestiegen sind. Außerdem verfügt das Hotel über eine große Dachterrasse, auf der man sich tagsüber einen herrlichen Sonnenbrand einfangen kann und am Abend den Blick über die Dächer und Türme der Stadt schweifen lassen.
Für 25 US$ übernachtet man im klimatisierten Einzelzimmer, Frühstück inklusive.
Das gibt es in Khiva zu sehen
Der Grund, die Strapazen der langen Anreise mitten in die Wüste auf sich zu nehmen, ist Khivas von der UNESCO zum Welterbe erklärten Altstadt Itchan Qal’a. Durch den Handel mit gehaltsfreiem Personal (Sklaven) zu Zeiten der alten Seidenstraße ist die Oasenstadt zu großem Reichtum gekommen. Innerhalb des Schutzes der gut erhaltenen Stadtmauern haben eine Vielzahl eindrucksvoller Gebäude der islamischen Baukunst den Zahn der Zeit überstanden.
Da die ganze Altstadt eine einzige Attraktion ist, muss man dafür auch einmalig beim Betreten durch eines der historischen Tore ein Eintrittsticket lösen. Je nachdem wie viele der Sehenswürdigkeiten man sich anschauen will – oder nur in den Gassen Itchan Qal’as schlendern mag – gibt es verschieden gepreiste Tickets. Da aber alle Moscheen, Paläste und die Zitadelle des Sehens würdig sind, greife ich zum rundum sorglos Angebot für 150.000 So’m (ca. 16€).
Die Stadtbefestigung von Khiva ließ – und lässt – Besucher durch vier Tore hinein. Eines in jeder Himmelsrichtig. Ich betrete die Stadt durch das Tor im Osten. Schon als ich auf das Tor vom Bahnhof kommend schwer beladen zulaufe beginne ich zu staunen. Denn der Anblick der Minarette und Portale der Medressen, die hinter der Mauer emporragen, versetzt mich direkt in eine andere Epoche.
Das eindrucksvollste Tor aus meiner Sicht liegt allerdings im Westen. Es liegt direkt zwischen der Zitadelle Konya Ark und der Muhammed Amin Khan Medresse mit dem massivsten Minarett der islamischen Welt, dem Kalta Minor. Lediglich die Drehkreuze zur elektronischen Ticketkontrolle im Eingangsbereich stören das ansonsten historische Bild ein wenig.
Trivia: das Kalta Minor ist ein unvollendetes Minarett. Es sollte einst das größte Minarett der islamischen Welt mit geplanten 80m werden – hat es aber aufgrund finanzieller Bredouillen nur auf 26m gebracht. Dennoch gilt es Heute als Wahrzeichen der Stadt.
Doch auch die Mauer selbst ist einen Besuch wert. Sie ist etwa umrandet die Altstadt mit etwa 2,2km Länge und bietet seit jeher mit einer schwindelerregenden Höhe von 8m ausreichend Schutz vor Angreifern mit Dolchen, Pfeil und Bogen.
Am Besten kommt man auf die Mauer vom Nordeingang aus. Von dort aus kann man sowohl Richtung Osten, als auch Westen laufen.
Ich beginne meine Tour entgegen dem Uhrzeigersinn und laufe somit der Zitadelle entgegen, die ein Teil der Befestigung auf der Westseite darstellt. Der Weg ist zwar breit genug für mehrere Personen und auch in einem guten Zustand, dennoch sollte man sich seines Trittes sicher sein. Denn wo die Zinnen der Mauer Schutz nach außen bieten, wartet in Richtung des Stadtinneren nur der freie Fall – ein Geländer gibt es nicht.
Die Anlage ist eben sehr authentisch und wurde nicht im Hinblick auf eine Freigabe durch den TÜV baulich verändert.
Meine Hoffnung war, dass es einen direkten Zugang von der Stadtbefestigung zum Konya Ark – der Zitadelle – gibt. Leider Fehlanzeige, die Mauer endet an einem der Wachtürme, ein Weiterkommen ist ohne entsprechendes Kletterequipment und vor allem mit meiner Höhenangst nicht möglich.
Also muss ich den gesamten Weg zunächst wieder zurück bis zum Nordeingang laufen, von der Mauer absteigen und den gleichen Weg abermals bis zur Zitadelle – nun aber auf der sicheren Straße. Wie ich immer gern sage: ohne Orientierung hat man mehr vom Ort.
Die Zitadelle wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts als Verwaltungszentrum des Khanats von Khiva errichtet und über das folgende Jahrhundert immer weiter ausgebaut. Hier befanden sich neben der obligatorischen Moschee und einer Wache auch die Residenz Khans.
Besonders eindrucksvoll fand ich allerdings den Wachturm der Zitadelle mit dem lieblichen Namen Ak Scheich Bobo. Von hieraus bietet sich nach Norden ein toller Blick auf den schlängelnden Verlauf der Stadtbefestigung, welche vor allem im Abendlicht so richtig zur Geltung kommt.
Aber auch der Blick nach Osten lädt mit dem im Hintergrund emporragenden Islam Khodja Minarett zu einer kleinen Fotosession ein. Und während wir wechselweise für ein herrschaftliches Bild posieren wird uns plötzlich eine große Überraschung zu Teil. Mit der Information, dass die Zitadelle nun schließen würde, werden wir zum Gehen aufgefordert. Anscheinend nehmen die Usbeken das Thema Öffnungszeiten doch deutlich genauer, als anzunehmen war.
Der erste Tag stand ganz im Zeichen der Schutzeinrichtungen Khivas. Daher steht am nächsten Morgen das Erkunden der Innenstadt auf dem Plan. Zunächst geht es auf Tuchfühlung mit einem der herausragendsten Gebäude der Stadt, welches ich am Vorabend schon von Weitem Sehen konnte: das Minarett Islam Khodja. Es ist mit 45m das höchste Gebäude der Stadt und natürlich einer der besten Anlaufpunkte auf der Suche nach einem guten Blick über die Stadt und einer sportlichen Betätigung beim Erklimmen der fast 120 Stufen.
Als nächstes geht es in die Juma Moschee bzw. Freitagsmoschee. Sie ist nach einer völlig anderen Art erbaut als die meisten Usbekischen Moscheen, die ich besucht habe. Denn diese ist nicht nach dem sonst vorherrschenden persischem Vorbild errichtet worden.
Die Bauweise der Juma Moschee in Khiva ist älter und bietet keinen offenen Innenhof, der über die großen Portale erreicht werden kann. Vielmehr ist ihre Grundfläche beinahe in Gänze von einer Decke überspannt, die von 212 mit Schnitzereien verzierten Holzsäulen getragen wird.
Trivia: als Freitagsmoschee bezeichnet man im Übrigen die Hauptmoschee der Stadt, in der die Gläubigen das wichtigste Gebet der Woche an Freitagen gemeinsam verbringen.
Auch auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: die Usbekische Sonne ist einfach unbarmherzig. Da stellt sich das schattige Innere der Moschee als eine wahre Oase inmitten der Oasenstadt heraus.
Die Holzpfeiler stammen alle aus verschiedenen Epochen. Sie wurden von zerstörten Bauwerken vergangener Siedlungen wiederverwendet oder während Eroberungen nach Khiva gebracht. Nur ein Teil ist für den Zweck des Erbaus dieser Moschee gefällt und bearbeitet worden. Das lässt sich insbesondere an den vielen Mustern und Inschriften aus verschiedenen Kulturen erkennen.
Trivia: die Bauart der Juma Moschee ist so einzigartig, dass es in ganz Zentralasien kein vergleichbares Bauwerk mehr gibt.
Um die Mittagshitze zu überstehen geht es für mich in das Café Terrassa nahe meines Hotels. Ok, in der überschaubaren Altstadt von Khiva ist wirklich alles in der Nähe von allem, aber dennoch..
Hier kann man bei mittelmäßigem Instant-Kaffee die wahrscheinlich herrlichste Ansicht der ganzen Stadt genießen.
Noch ein kurzer Abstecher in eines der wahrscheinlich neusten Gebäude der Altstadt: den Tasch Hauli. Hierbei handelt es sich um einen Palast des Khans von Khiva aus dem 19. Jahrhundert. Die reichhaltigen Verzierungen durch Mosaike an allen Wänden und Schnitzereien an den Decken sind ausgesprochen gut erhalten.
Zum Abschluss des Tages geht es für die Reisegruppe Sonnenschein zurück zum Café Terrassa. Bei bestem usbekischen Bier genießen wir die letzten Stunden in der alten Karawanenstadt und beobachten, wie die Sonne sich allmählich hinter dem Konya Ark legt. Damit geht auch meine Reise in die weitestgehend ferne Historie dieses wunderschönen aber kaum bekanntem Juwel der islamischen Welt zu Ende. Denn am nächsten Morgen machen wir uns auf zu einem der modernen Zeugen menschengemachter Katastrophen, bevor es im Anschluss weiter nach Kirgistan geht.
Doch das ist Morgen. Heute ist Bier. Bier und dieser fantastische Ausblick.
War noch was?
Khiva ist quasi berühmt für einen ganz besonderen Leckerbissen auf der Speisekarte: Shivut Oshi. Hierbei handelt es sich im Prinzip um Nudeln, deren Teig mit jeder Menge Dill angereichert wurde. Als Soße gibt es eine Art Gulasch mit einem Klecks frischem Jogurt. Absolute Kaufempfehlung!
Das Beste Shivut Oshi hatte ich im Restaurant Mirzaboshi in der Nähe des Kalta Minor.
Weiter geht’s
Für viele endet in Khiva bereits das Abenteuer Usbekistan. Wer sich noch etwas weiter raus traut hat die traurige Möglichkeit, Zeuge einer der schlimmsten menschengemachten Naturkatastrophen der Welt zu werden. Beim Besuch des nahezu vollständig ausgetrockneten Aralsees kann man viel über Misswirtschaft und den verantwortungslosen Umgang mit den raren natürlichen Ressourcen lernen.
Wer von hieraus ostwärts reist, kommt mit dem Zug nach Bukhara. Alternativ gibt es ab Urgench auch regelmäßige und günstige Flüge nach Taschkent.