Sulina – Das Biosphärenreservat am Donaudelta
Rumänien ist ein fantastisches Reiseziel für Naturliebhaber. Ursprüngliche Wälder überziehen das Land. Mit über 60% des gesamten Bestandes durchstreift Europas größte Braunbärpopulation Rumäniens Karpaten. Die garstigsten Schäferhunde beißen unbescholtene Wanderer.
Doch in Sachen Vielfalt und Superlativen ist noch lange nicht Schluss. Denn Rumänien ist ebenfalls das Zuhause des größten Schilf- und Feuchtgebietes Europas. Und das hat absolut gar nichts mit einem zeitgenössischen Roman von C. Roche zu tun.
Ganz im Osten des Landes fließt die Donau in das Schwarze Meer und formt dabei das Donaudelta – eines der bedeutendsten Biosphärenreservate Europas.
Trivia: Mit etwa 2860km ist die Donau der zweitlängste Fluss Europas und bildet am Schwarzen Meer das zweitgrößte Flussdelta Europas. Jeweils nur durch die Wolga überboten.
Erinnert mich direkt an einen Werbespot einer Investmentgruppe „und für meine Frau den zweitbesten Fisch und für mich das zweitbeste Steak“
Das Reservat zeichnet sich vor allem durch seine enorme Biodiversität aus, die sich auf die vielen geschützten Lebensräume sowohl im- als auch auf dem Wasser zurückführen lässt. Für über 300 teils bedrohte Vogelarten ist das Donaudelta einer der wichtigsten Lebensräume.
Einige nutzen den Schutz sowie das reiche Angebot an Nahrung als Tankstop auf ihrer Pendelstrecke zwischen Sommer- und Winterquartier. Andere haben sich das weitverzweigte Delta zum dauerhaften Domizil gemacht. In jedem Fall ein Paradis für Hobbyornitologen und solche, die es niemals werden wollten.
Meine Unterkunft: Vila Caviar Sulina
Da es keine Straßenverbindungen durch das Biosphärenreservat gibt, parken wir mein Auto in Tulcea. Die Kleinstadt am Rande des Donaudeltas bietet neben kostenlosen Parkplätzen und funktionierenden Geldautomaten auch einen kleinen Hafen. Von hieraus können zum einen Tagestrips auf dem Wasser unternommen werden. Es fahren aber auch Shuttleboote zu den Ortschaften an den Buchten zum Schwarzen Meer.
Beliebt sind dabei das südlich gelegene und ruhigere Sfântu Gheorghe. Hier kommt man der unberührten Natur wohl näher und viele Unterkünfte und Aktivitäten versprechen einen nachhaltigen Hintergrund. Am Ende des nördlichen Kanals liegt Sulina. Hier ist die Auswahl an Hotels und Aktivitäten bedeutend größer. Daher fahren wir auch nach Sulina.
Der Ort selbst ist nicht besonders schön. Mit dem Fall der Sowjetunion ist auch ein großer Teil der Industrie der einst so bedeutenden Hafenstadt stillgelegt worden. Fabrikruinen reihen sich neben renovierungsbedürftige Wohnhäuser. Die kilometerlange Hafenpromenade ist gesäumt von unzähligen großen Schautafeln der lokalen Reisebüros, die hier für ihre Touren werben. Der Tourismus scheint die letzte Hoffnung der Region auf wirtschaftlichen Aufschwang zu sein.
Unser Gasthaus muss der schönste Ort von Sulina sein. Es liegt an einer ruhigen Straße abseits des Treibens am Pier und auch sonst ist es ein entspanntes Fleckchen mit kleinem Garten, großen Zimmern und Balkon. Der Besitzer ist sehr nett und trotz fragwürdiger Englischkenntnisse sehr gesprächig. Er vermittelt uns Bootstouren, wir helfen ihm auf der Webseite eines deutschen Metallbauers ein Treppengeländer zu bestellen. Rumänischen Fabrikaten vertraut er nicht.
Das Zweibettzimmer kostet 300 Lei (ca. 60€) pro Nacht ohne Frühstück.
Und das habe ich in Sulina gemacht
Sonnenuntergang auf dem Schwarzen Meer
Im Donaudelta dreht sich alles ums Wasser. Mit dem Boot kann man Touren über die verschiedenen Flussarme, Kanäle und Seen des Biosphärenreservats unternehmen. Jemand, der so leicht Seekrank wird wie ich, muss sich allerdings an das Element Wasser behutsam heran tasten. Daher haben wir uns zunächst für eine Tour am Abend in Richtung des Schwarzen Meeres entschieden.
Mit einer Nussschale voller Touristen und einem Bootsführer der sich selbst Captain Nemo nennt geht es über den Sulina Kanal auf das Binnenmeer.
Die Fahrt ist ein ohrenbetäubender Dreiklang aus dem Heulen des Motors, den Ausführungen des Captain Nemo über sein Megafon sowie dem Geschrei der vielen Möwen, die dem Boot in der Hoffnung auf Futter auf den Fersen sind. Und sie sollten nicht enttäuscht werden. Denn die meisten Gäste werfen ununterbrochen Brotkrumen ins Wasser, um die Tiere bei Laune zu halten.
Ziel der Fahrt ist eine Sandbank am Ende des Sulina Kanals, auf welcher sich verschiedene Vogelkolonien tummeln. Hier lässt unser Captain Hook den Anker, unsere Ausflugsboote kommen zum stehen. Hier beobachten wir das Gewusel der Tiere auf der Sandbank.
Vor allem das Starten und Landen der Pelikane finde ich spektakulär. Die Vögel wirken mit ihren beinahe 10kg doch eigentlich viel zu behäbig um wirklich abheben zu können – genau wie ein Airbus A380. Und um in dieser Analogie zu bleiben, fühle ich mich mit meiner Kamera beinahe wie ein Planespotter am Flughafen.
So langsam taucht die untergehende Sonne den Himmel in ein kräftiges, atmosphärisches Orange. Unweit hinter der Sandback schläft das Wrack der Turgut, ein auf Grund gelaufener Frachter und vollendet das romantische Bild der Industrieruine an der Ostgrenze Rumäniens.
Kosten: 60 Lei (ca. 12€)
Dauer: ca. 3h
Tour durch den wilden Norden des rumänischen Deltas
Für den nächsten Tag haben wir uns eine Tour rausgesucht, die tiefer in das Delta und seine vielen Nebenarme und Seen eindringt. Von Sulina aus lassen sich sowohl Fahrten durch die Gewässer nach Süden in Richtung Sfântu Gheorghe unternehmen, als auch gen Norden unweit der Ukrainischen Grenze. Die Landschaft soll im Norden abwechslungsreicher sein, außerdem gibt es hier frei lebende Pferde an den Dünen. Ausreichend als Verkaufsargument für mich.
Der Großteil der mit dem Boot befahrbaren Wege des Donaudeltas sind heutzutage tatsächlich Kanäle. Denn viele natürliche Wasserstraßen wurden begradigt und auf eine schiffbare Tiefe ausgebaggert um so Tourismus und Industrie voran zu treiben. Daher geht es auch auf der Tour durch den wilderen Norden in erster Linie entlang der künstlich ausgehobenen Kanäle.
Doch auch diesen modifizierten Lebensraum hat sich die Natur bereits zurückgeholt. Und sobald wir den großen Sulina-Kanal verlassen ist bereits ein Großteil des Wassers bedeckt von Seerosen.
Dass das Delta Rückzugsort vieler bedrohter Tierarten ist, habe ich erwartet. Doch eine Gattung freilaufender Säuger überrascht dann doch. Nördlich von Sulina treiben sich nämlich über 2000 herrenlose Pferde herum!
Tatsächlich könnte man allerdings nur die jüngeren Generationen als Wildpferde bezeichnen. Denn ihren Ursprung hat die Population im Umbruch der rumänischen Wirtschaft nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Damals wurden hunderte Arbeitstiere nach der Schließung der landwirtschaftlichen Betriebe einfach in die Freiheit entlassen. Eine Anschlussbeschäftigung gab es nicht. Arbeitnehmerverbände wären empört!
Weltweit gibt es unzählige traurige Beispiele für misslungene Auswilderung von Tieren in einen neuen Lebensraum. Denn häufig sind die sensiblen Ökosysteme nicht auf die Eindringlinge eingestellt. Natürliche Feinde gibt es nicht, Futter findet sich im Überfluss. Die Population der neuen Bewohner steigt rasant an und gefährdet so den Lebensraum der ursprünglichen Tier- und Pflanzenwelt.
Auch die Neo-Wildpferde des Donaudelta wurden aufgrund ihrer Vorliebe für seltene Pflanzen und die Rinde der geschützten Wälder für Umweltschützern schnell ein Dorn im Auge. Nur einer strengen Geburtenkontrolle und Zufütterung durch Biologen ist es zu verdanken, dass die Pferde in den vergangenen Jahren nicht zum Abschuss freigegeben wurden. Und so kommt es, dass diese vielen neugierigen Gesichter uns vom Ufer aus beobachten. Und die Speisekarten der Restaurants in erster Linie Fisch- und nicht Pferdegerichte aufführen.
Natürlich bietet auch diese Tour wieder jede Menge Gelegenheiten, Pelikane zu beobachten. Die meisten Vogelarten scheinen sehr scheu und flüchten, sobald sich unser Motorboot nähert. Pelikane hingegen lassen sich von den neugierigen Touristen kaum beirren und sitzen weiter gähnend auf ihren Seerosen.
Einmal haben wir das Glück, einen Schwarm Rosapelikane bei der gemeinschaftlichen Jagd zu beobachten. In Gruppen treiben sie durch Flügelschläge Fische in flacheres Wasser. Wie auf Kommando stecken dann alle zeitgleich ihre Köpfe ins Wasser und sammeln mit den großen Schnäbeln, die wie ein Köcher funktionieren, die Fische aus dem Wasser.
Die Landschaft ist abwechslungsreich und wunderschön. Dennoch macht sich allmählich ein großes Defizit unseres Bootes bemerkbar: wir haben kein Dach. Und die Sonne scheint an diesem Tag gnadenlos auf die Passagiere, die sich mittlerweile in Jacken und Decken komplett bedecken. Insgesamt sind wir beinahe 10h unterwegs, unser Guide ist eifrig und möchte uns noch so vieles zeigen.
Leider ist er für Feedback nicht besonders empfänglich und ignoriert ihr das zunehmende Unbehagen dabei völlig. Die letzten 2h gucke ich unaufhörlich auf die Karte und überlege, wie lange wir denn noch bis zurück nach Sulina brauchen würden.
Tipp: Unbedingt darauf achten, ein Boot mit Dach zu wählen. Dann kann man auch den gesamten Ausflug genießen.
Kosten: 150 Lei (ca. 30€)
Dauer: ca. 8-10h
War noch was?
Im nördlichen Teil des Deltas liegt auch der Letea-Wald. Hierbei handelt es sich um den nördlichst gelegenen Subtropischen Wald Europas. Große Teile des Waldes stehen bereits seit 1930 unter Naturschutz und sind somit Rumäniens ältestes Naturreservat.
Eine Tour durch den Wald, der auf einer Sandbank des Donaudeltas liegt, ist mit Sicherheit interessant und lässt sich auch mit einer Bootstour kombinieren. Leider hat das bei uns nicht geklappt und ich habe daher einen guten Grund, noch einmal wieder zu kommen.